Dinge, die 8 m von ihr entfernt sind, kann die Hufeisennase noch orten. Dabei fliegen die Hufeisennasen mit geschlossenem Maul und stossen durch die Nase hohe, lange Pfeiftöne aus. Anders die Glattnasen: ihr Ton ist explosionsartig kurz und reicht nur für kurze Entfernungen von etwa 1 m; sie erzeugen den Ton mit dem Maul. Die von den Ohrmuscheln eingefangenen Echos werden über die Gehörknöchelchenkette zum Innenohr mit der Schnecke und von dort zum Hörnerven übertragen. Das ist noch nichts besonderes. Doch weisen die Fledermäuse schon im Innenohr einen trennscharfen Hörfilter auf, der ihnen erlaubt, in ihrem Ortungssystem mit einer akustischen Trennschärfe zu arbeiten, die bis zu fünfzigmal höher ist als bei anderen Säugetieren. Dies ist auch notwendig, da Fledermäuse, wenn sie beispielsweise im Blatttwerk eines Baumes nach Insekten jagen, vielfältige Signale sowohl von den Beutetieren wie auch von den Zweigen und Blättern empfangen, die auseinandergehalten werden müssen.
Natürlich hat sich der Mensch nicht damit zufrieden gegeben, gegenüber den Ultrschalltönen taub zu bleiben. Über den Bat-Detektor werden die Ultrschalltöne hörbar gemacht. Abgesehen davon, daß die Forschung nie aufhören kann, den verborgenen Dingen in der Natur nachzustöbern, läßt sich an hochspezialisierten Werkzeugen von Lebewesen einer großen Gattung, wie zum Beispiel der Säugetiere, auch Grundsätzliches über das Funktionieren von Organen überhaupt herausfinden. Also wissen wir durch die Erforschung des Fledermausohres mehr über die Vorgänge in unserem eigenen Gehör.
Die hohe Spezialisierung des Fledermausohres ist um so erstaunlicher, daß als wir bei den Fledermäusen mit einer uralten Spezies von Säugetieren zu tun haben. So fand man versteinerte Fledermäuse in der unter Forschern der Erdvergangenheit berühmten Grube Messel in der Rheinischen Tiefebene nordöstlich von Darmstadt. Die Wissenschaft fand heraus, daß die Funde aus der Messeler Grube aus dem Erdzeitalter des Eozän stammen, in dem die höheren Säugetiere sich zu entwickeln begannen. Auch Überreste von Krokodilen wurden dort entdeckt, ebenso wie das berühmte Messeler Urpferdchen, eine Vorform von sich gerade entwickelnden Säugetierarten. Ganz anders die Fledermaus. Erstaunt nahm die Wissenschaft zur Kenntnis, daß dem Körperbau zufolge diese hochspezialisierte Säugetierart ihre Entwicklung bereits im Eozän abgeschlossen hatte.
In dem berühmten Weltengespräch zwischen Felix Krull und dem Professor Kuckuck aus Lissabon läßt Thomas Mann den Gelehrten auf die Frage, wann man das Eozän schrieb antworten: " Kürzlich. Es ist Erdenneuzeit, etwelche 100.000 Jahre zurück, als zuerst die Huftiere aufkamen."
Was die Zahl angeht, untertrieb der Dichter. Tatsächlich fand das Eozän vor etwa 60 Mio. Jahren statt, jedenfalls zu einer Zeit, die den Menschen noch nicht kannte. Wir sollten der Fledermaus also mit Hochachtung und gebührendem Respekt begegnen.
Statt dessen verspürt ein Teil des Publikums bei näherer Bekanntschaft mit Fledermäusen immer noch ein schlecht unterdrücktes Unbehagen. Eher harmlos mutet in diesem Zusammenhang die Furcht vorwiegend weiblicher Individuen an, daß eine Fledermaus sich in ihre Frisur verirren könnte. Dies ist Aberglaube: Fledermäuse bevorzugen für ihren Aufenthalt Dachböden, Felsspalten, Baumhöhlen und Stollen. Bedenklicher ist, daß etwas von verlorenen Seelen oder Seelen auf Urlaub in den Köpfen spukt. Mit ihrem nächtlichen Wispern steht die Fledermaus seit Ovid für das Unheimliche bis auf den heutigen Tag. Der römische Dichter beschreibt es als Strafe, daß die Töchter des Königs Minyas wegen ihrer Mißachtung des Gottes Bacchus in Fledermäuse verwandelt wurden. Ihr Haus füllte sich mit blendender Glut und "Längst verbargen sich schon im Hause die Schwestern,/ Jede gesondert, und suchten die Glut und die Helle zu meiden; / Wie sie so Dunkelheit suchen, umzieht ihre schrumpfenden Glieder / Dünne Haut und bekleidet mit zarten Schwingen die Arme. / Aber auch welche Art sie die früheren Formen verloren, / Ließ das Dunkel nicht sehen. / Zwar nicht ein Gefieder erhob sie; / Dennoch schwebten sie hoch mit helldurchsichtigen Flügeln / wollten sie reden, erklang im Verhältnis zum Leibe nur ein schwaches / Zirpen und sie beklagen ihr Leid mit leisem Gewisper./ Häuser bewohnen sie nur, nicht Wälder, und fliegen nur nachts,/ Lichtscheu und Fledermäuse genannt nach dem Flattern am Abend." So waren, hier in der ausgezeichneten Übersetzung von Thassilo von Scheffer, die Fledermaus aus dem Mythos geboren. Es waren menschliche Wesen, die in nächtliche Flatterer verwandelt wurden. Das war entwicklungsgeschichtlich zwar unhaltbar, doch lebte die Figur des Fledermausmenschen in Mythen und Volksmärchen fort. Ihre entschiedenste Ausprägung fand sie in der bluttriefenden Gestalt des Vampirs.
In den tropischen Nächten Mittel- und Südamerikas geht nach Einbruch völliger Dunkelheit eine Fledermausart auf Beutefang, deren Gebiß eigentümlich verändert ist. Die Zahl der Zähne ist auf zwanzig vermindert, die Vorderzähne haben messerscharfe Schneiden. Es handelt sich hier um Vertreter der Familie der Echten Vampire, von denen der bekannteste der Gemeine Vampir (Desmodus rotundus) ist. "Gemein" beschreibt hier keine Charaktereigenschaft, sondern spielt auf die Tatsache an, daß Desmodus rotundus erheblich weiter verbreitet ist als z.B. sein Artgenosse, der kleine Blutsauger (Diphylla ecaudata). Wie bei allen Fledermausarten handelt es sich auch hier um hochspezialisierte Individuen, die nicht nur über messerscharfe Schneidezähne, sondern auch über kleine Hautpolster an Fußsohlen und Handgelenken verfügen, die es ihnen erlauben, sich geräuschlos und ohne daß das Opfer aus dem Schlaf erwacht, auf ihren Blutspender, ausschließlich Warmblütern, niederzulassen. Das Opfer, meist Rinder, Pferde, Ziegen, Hunde, Schweine, selbst Hausgeflügel und gelegentlich ein schlafender Mensch spürt den schnellen Biß nicht. Das reichlich austretende Blut wird mit der Zunge aufgeleckt, nicht wirklich ausgesaugt. Obwohl die aufgenommene Blutmenge so beträchtlich ist, daß der Leib des Vampirs bei einer Mahlzeit zusehends anschwillt, hält der Blutverlust sich doch meist in Grenzen. Gefährlicher ist die Übertragung von Krankheiten durch den Biß eines Vampirs, wie z.B. einer speziell in Mittel- und Südamerika auftretenden Pferdeseuche und vor allem der Tollwut.
Nach Bekanntwerden dieser beunruhigenden Einzelheiten aus der Neuen Welt breiteten sich in Europa fantastische Vorstellungen und allerhand Aberglaube aus. Fledermäuse wurden mit Hexen und Teufeln in einen Topf geworfen, bezeichnenderweise wurden in der Malerei der Spätrenaissance und des Barock, aber auch des ausklingenden Rokoko (Francisco Goya) und der Moderne (z.B. in den Federzeichnungen von Alfred Kubin) der Teufel, der einen Heiligen oder eine Jungfrau belästigt, mit Fledermausflügeln, Engel dagegen grundsätzlich mit Vogelschwingen ausgestattet. Der Mythos von Blutsaugern war in der Alten Welt jedoch bereits vor der Entdeckung Amerikas präsent.
So beschreibt der Vampir-Ethnologe Gabriele Rossi Osmida als Ahnin der Vampire Lilith, Adams erstes Weib, das im jüdischen Volksglauben als blutsaugendes Nachtgespenst vorkommt, sich am roten Meer mit den Dämonen vereinigt und mit ihnen täglich mehr als 100 Blutsauger gezeugt haben soll. Aus der griechischen Mythologie überliefert ist die Schrecken verbreitende Gestalt der Empusa, die sich tagsüber in ein schönes Mädchen verwandelt und nachts den Durst mit dem Blut der Liebhaber stillt. Im Deutschland Martin Luthers wurden Vampire zunächst als Nachzehrer, Blutsauger und Leichenfresser bezeichnet, neben allerhand anderen vampirischen Attributen schrieb man ihnen auch die Ausbreitung von Epidemien zu. Der eigentliche Begriff Vampir stammt dagegen aus dem Serbischen und wird im Deutschen, so das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, erstmals 1732 erwähnt. Vorher schon war im "Mercure galant" über wiederkehrende Blutsauger in Russland und Polen berichtet und dazu bemerkt worden, daß man diese dort Vampire nenne. Im Handbuch des deutschen Aberglaubens wird der Vampir demnach den Nachzehrern zugeordnet und als eine besondere Rasse der Wiedergänger definiert, der auf irgendeine Art seine Angehörigen oder auch andere Menschen nach sich in den Tod ziehe. Präziser: als Vampir wird nur jene Klasse von Wiedergängern bezeichnet, "von denen ausdrücklich gesagt wird, daß sie den Lebenden Blut aussaugen". An anderer Stelle heißt es, der Vampir falle nachts die Leute an, insbesondere Verwandte, denen er sich auf die Brust lege - vom ausgesogenen Blut werde der Vampir "aufgeblasen wie ein gefüllter Schlauch" - eine, wie wir aus der Beobachtung südamerikanischer Fledermaus-Vampire wissen, durchaus der Realität entsprechende Beobachtung.
Wie wird man Vampir ? Der Spezialist Klaus Völker nennt in seiner 1968 in der "Bibliothec Dracula" erschienenen Beschreibung folgenden Personenkreis: "Christen, die sich zum Islam bekehren liessen, Priester mit Todsünden, Exkommunizierte und Menschen, die keine Sterbesakramente empfangen haben". Weitere Kandidaten sind ungetauft gestorbene Kinder, Tote, in die am 40. Tag ein böser Geist fährt, und Leichen, über die eine Katze oder sonst ein Tier gegangen ist. In England verwandeln sich hauptsächlich Ausländer in Vampire, und zwar Franzosen, die auf englischem Boden gefallen sind. In Osteuropa mutieren vorzugsweise solche Personen zu Vampiren, die mit Türken in Kontakt standen. Die Idee des Vampirismus ist also völkerübergreifend. Allerdings variieren die Merkmale des Vampirs. Nach slawischer Tradition hat er rote, nach griechischer blaue Augen. Die Zähne werden aber in sämtlichen Überlieferungen als übergroß beschrieben. Typisch vampirisch sei es, so das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, "wenn sich bei einem Toten Blutflecken auf dem Gesicht, besonders an den Fingernägeln zeige, wenn die Leiche langsam erkaltet, oder wenn ein Mensch mit Zähnen oder einer Glückshaube auf die Welt gekommen sei". Dagegen entspringt die Vorstellung, daß der Vampir geheiligte Erde mit sich führt, um sich tagsüber darin schlafen zu legen, ebenso eher der literarischen Fantasie als dem Volksglauben wie die Ansicht, ein Vampir sei im Spiegel nicht zu sehen.