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Im Reich des Übersinnlichen

Oder die heiteren Invaliden.

»Trägt nicht alles, was uns begeistert die Farbe der Nacht?«

(Novalis)

Als Ultraschall werden Schallwellen bezeichnet, die mit einer so hohen Frequenz (15.000 - 15.000.000 Wellen pro Sekunde) schwingen, dass sie das Hörvermögen des menschlichen Ohres übersteigen. Hierzu macht man sich den sogenannten piezoelektrischen Effekt zunutze, der 1880 von Piere Curie, Chemieprofessor an der Sorbonne in Paris, und seiner Gattin und Nachfolgerin Marie Curie an Quarzen entdeckt wurde. Man versteht darunter die Eigenschaft bestimmter Kristalle, elektrische Energie in mechanische Energie umzuwandeln. Ein Stromstoss kann also so einen Kristall in Schwingungen versetzen, die sich in Form von Schallwellen auf die Umgebung fortsetzen. Auch der umgekehrte Weg ist möglich: wechselnde mechanische Kräfte wie z.B. Schallwellen können durch den Kristall in elektrische Signale verwandelt werden. Dabei können sehr hohe Energien entstehen: Falls eine hochfrequente Wechselspannung und die Eigenfrequenz der Kristalle übereinstimmt, kann mit bestimmten technischen Vorrichtungen (parabolische Hohlschwingquarzen) nahe dem Brennpunkt eine Schallenergie erzeugt werden, die auf gleichem Querschnitt mehr als das 10.000-fache eines Kanonenschusses beträgt.

 

 

grosser Röhrennasenflughund

Großer Röhrennasenflughund

Als das Prinzip der Ultraschall-Erzeugung erst einmal etabliert war, ergaben sich die Anwendungsbereiche wie von selbst: mit Ultraschall kann man im Meer sowohl feindliche U-Boote wie auch eher willkommene Herings- und Thunfischschwärme aufspüren, in der Produkrtion dient Ultraschall zur Werkstoffprüfung, Ultraschall kann Papierblätter entflammen, Gase durch entsprechende Sirenen entstäuben, die Struktur makromolekularer Stoffe verändern und sonst nicht mischbare Flüssigkeiten, z.B. Wasser/Quecksilber oder Wasser/Öl, emulgieren. Weniger beliebt beim Publikum ist die Verwendung von Ultraschall unter gleichzeitiger Ausnutzung des Doppler-Effekts in Radar-Fallen.

Allgemeinen Beifall findet dagegen die Ausnutzung von Ultraschallwellen in der Medizin, und zwar sowohl im therapeutischen Bereich zur Behandlung von Neuralgien und chronisch entzündlichen Knochen- oder Gelenkveränderungen als auch, und hiervon soll zunächst kurz die Rede sein, in der Diagnostik.

1942 veröffentlichte K.T. Dussik in der Zeitschrift für Neurologie und Psychatrie einen Artikel, in dem er erstmals die Möglichkeit beschrieb, Ultraschallwellen zur Diagnostik einzusetzen. Dabei erwies sich einmal mehr, daß die brillianteste Idee nichts nutzt, wenn ihre Anwendung am falschen Objekt erfolgt. Dussik bestand nämlich darauf, seine Methode am menschlichen Gehirn auszuprobieren. Von allen Organen war nun das Gehirn am wenigsten geeignet, da es vollständig vom Schädelknochen umgeben wird, der zumindest mit damaligen Methoden nur sehr unvollständig vom Ultraschall zu durchdringen war. Um die Schallqualität zu verbessern, wurden Wannen konstruiert, die mit Wasser gefüllt wurden und in die der Patient während der Untersuchung seinen Kopf einzutauchen hatte. Geholfen hat dies nicht viel, zudem war die Methode nur für Patienten mit robuster Konstitution geeignet.

Auch als man später dazu überging, den ganzen Menschen in eine wassergefüllte Wanne zu setzen und ihn mit einem schwenkbaren Arm, an dem eine Ultrschallsonde befestigt war, abzutasten, erwies sie sich als wenig praktikabel. Sie geriet infolgedessen zunächst einmal wieder in Vergessenheit.

Erst in den 60-iger Jahren nahm die Ultrschalltechnik in der diagnostischen Medizin einen, diesmal allerdings gewaltigen, Aufschwung. Man untersuchte jetzt vor allem die Organe und Weichteile des Bauchraums und lernte dort Tumoren, Steine und Flüssigkeitsansammlungen zu erkennen. In Zürich war es R. Otto, damals Oberarzt am radiologischen Institut, der den Ultraschall am Universitätsspital als diagnostisches Verfahren einführte, begleitet übrigens von der gar nicht so heimlichen Skepsis zahlreicher Etablierter.

 

 

braunes Langohr

Braunes Langohr

Das Prinzip des Ultraschalls in der diagnostischen Medizin beruht darauf, daß Ultraschallwellen in den Körper ausgesandt und dort vom Gewebe teils absorbiert, teils zurückgeworfen, also reflektiert werden. Die reflektierten Ultraschallwellen kommen zum Sender, also der Schallquelle, zurück und werden dort in elektrische Energie umgewandelt. Diese wird über eine nachgeschaltete Elektronik zum Aufbau eines Bildes verwendet.

Unterschiedliches Gewebe führt zu einem unterschiedlich grossen Anteil von reflektierten Ultrschallwellen; so wird ein Stein in einer Gallenblase mehr Schallwellen zurückwerfen als die umgebende Galle, wodurch der Stein im Ultrschallbild reflexreich oder sehr hell erscheint. Ein Tumor in der Leber, der dem Schall weniger entgegensetzt als das umgebende Lebergewebe, wird auch weniger Ultraschallwellen reflektieren und sich daher dunkler als das Lebergewebe darstellen.

Wie erwähnt gelang es dem Forscherehepaar Curie erstmals, mit Hilfe piezoelektrischer Kristalle Ultraschallwellen zu erzeugen. Wie aber gelang es dem Menschen nachzuweisen, daß ein im eigentlichen Sinne übersinnliches Phänomen wie der ja nicht hörbare Ultrschall überhaupt existiert ? Wie immer bei bedeutenden Forschungsergebnissen lautet die Antwort: Durch genaue Beobachtung der in der Natur vorkommenden Phänomene, logische Verknüpfung der dabei gemachten Erfahrungen und eine leidenschaftslose Versuchsanordnung. Das Versuchsobjekt, mit dessen Hilfe man dem Ultrschall auf die Spur kam, war ein Tier aus dem Dunkel der Nacht, die Fledermaus.

Schon früh haben sich Naturforscher gefragt, welche Fähigkeiten es den Fledermäusen erlauben, im Dunkeln auf Beutefang zu gehen und dabei im schnellen Flug nicht an Hindernisse zu stossen, sondern sie mit Leichtigkeit zu umgehen. Sollte die Fledermaus imstande sein, auch in der Nacht kleinste Helligkeitsunterschiede mit ihren Augen aufzunehmen? Dies ist immerhin von einigen anderen Tierarten bekannt.

Die Forschung, sofern sie sich ihren lebendigen Gegenständen verpflichtet weiß, geht stets von der Prämisse aus, daß einzelne Exemplare zum Wohl der Gattung bedauerlicher-, aber unumgänglicherweise, leiden müssen. Von dieser schonenden Rechtfertigung ließ sich auch ein Mann mit dem klangvollen namen Lazzaro Spalanzani, Zoologe, Tierexperimentator, Physiologe und Bischof von Pavia in einer Person, leiten, als er 1793 Fledermäuse blendete, um festzustellen, wie sie sich, ihres Augenlichtes beraubt, im Raum bewegten. Spallanzani hatte zunächst senkrechte Wollfäden in einem Raum ausgespannt, in dem er gefangene Tiere fliegen ließ. Die nicht geblendeten Fledermäuse flogen problemlos zwischen den aufgespannten Fäden hindurch. Die eigentliche Entdeckung machte Spallanzani jedoch, als er feststellte, daß auch die blinden Fledermäuse unbehelligt passierten. Diese Ergebnisse veröffentlichte Spallanzani 1794.

Damit war ein Stein ins Rollen gekommen, der jedoch nicht sogleich bis an den Grund der Wahrheit rollte. Der zweite Schritt wurde in Genf getan: Dort führte Charles Jurin, ebenfalls Naturforscher und Physiologe, folgendes Experiment durch: er verstopfte Fledermäusen die Ohren, blendete sie aber nicht. Es stellte sich nun heraus - auch Spallanzani überzeugte sich davon -, daß die zwar sehenden, jedoch ihres Gehörs beraubten Fledermäuse ihren Orientierungssinn verloren hatten und nicht mehr in der Lage waren, Hindernisse zu umfliegen. Doch wurden aus diesem Experiment nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Man blieb vielmehr bei Spallanzanis erstem Experiment stehen und folgerte, daß alles auf den Tastsinn der Fledermäuse zurückzuführen sein müsse, wenn es, wie bewiesen, das Sehvermögen nicht sein könne.

 

 

kleine Hufeisennase

Kleine Hufeisennase

Eine Koryphäe trat auf den Plan. Georges Baron de Cuvier (1769 - 1832), vergleichender Anatom und Paläontologe, war einer der berühmtesten Naturforscher seiner Zeit und Verfechter der in verschiedenen Abwandlungen auch heute immer noch beliebten Katastrophen-Theorie, nach der alle Lebewesen von Zeit zu Zeit durch eine universale Katastrophe vernichtet und später gegebenenfalls wieder neu erschaffen werden. De Cuvier stellte nun die These auf: Fledermäuse spüren an ihren Flügeln die Luftstauung, die bei Annäherung an einen Gegenstand entstehe.

Diese These erschien einleuchtend und elegant, und die wissenschaftliche Welt gab sich mit ihr über 100 Jahre lang zufrieden. Falsch war sie trotzdem. 1864 formulierte Alfred Brehm sehr vorsichtig: "Man hat mehrfach Versuche gemacht, Fledermäuse zu blenden, indem man ihnen ein Stückchen englisches Pflaster über die Augen klebte. Sie flogen aber trotz ihrer Blindheit noch genau ebenso geschickt im Zimmer umher als sehend und verstanden es meisterhaft, allen möglichen Hindernissen, z.B. vielen, in verschiedenen Richtungen durch das Zimmer gezogenen Fäden, auszuweichen". Und nun kommt es: "Der Sinn des Gefühls mag nun erstentheils in der Flatterhaut liegen, wenigstens scheint dies aus allen Beobachtungen hervorzugehen". Doch Brehm läßt sich nicht von vorgefaßten Meinungen beirren und schreibt weiter: "Weit ausgebildeter aber als dieser Sinn sind Geruch und Gehör". Allerdings zog auch Brehm keine Konsequenzen aus dieser Feststellung, konstatierte jedoch immerhin noch: "Es ist unzweifelhaft, daß die Fledermaus vorbeifliegende Kerbtiere schon in ziemlicher Entfernung hört und durch ihr scharfes Gehör wesentlich in ihrem Fluge geleitet wird.", um kühl fortzufahren: "Schneidet man die blattartigen Ansätze oder die Ohrlappen und Ohrdeckel ab, so werden alle Flattertiere in ihrem Flug ganz irre und stossen überall an".

Erstes Ergebnis von erneut angestellten Forschungen, die immer noch von Spallanzani ausgingen und für die man sich natürlich wieder an Fledermäusen vergreifen mußte, führten im ersten Drittel des Jahrhunderts zunächst zu dem Ergebnis, daß der große de Cuvier sich geirrt hatte. Fledermäuse wurden die für den Tastsinn zuständigen Flügel unempfindlich gemacht: sie flogen trotzdem ohne erkennbare Behinderungen. Der Tastsinn war somit nicht des Rätsels Lösung. Erst als man den Fledermäusen die Ohren verstopfte, verloren die Tiere ihren bis dahin sicheren Orientierungssinn.

Da Spallanzanis Fäden ebenso wenig wie die anderen in der Natur vorkommenden Gegenstände Töne produzierten, mußte man sich zwangsläufig fragen, wer denn jene Töne aussendet, die eine Fledermaus hören müsse, um sicher durch den Raum zu fliegen. Die Antwort: nur sie selbst konnte es sein.

In keinem der üblichen Konversationslexika findet sich der Name des holländischen Forschers Dijkgraaf. Dieser setzte seinen Fledermäusen eine papierne Maulkappe auf, die sich öffnen und schließen ließ. Bei geöffneter Klappe flogen die Tiere perfekt, bei geschlossener Klappe gerieten sie ins Schlingern. Damit war man bei der Wahrheit angekommen. Akustik hieß das Zauberwort, auf das die Menschen allein deshalb so lange nicht kamen, weil die von der Fledermaus ausgestoßenen Töne für das menschliche Ohr viel zu hoch sind. Während das Gehör des Menschen Schwingungen und Frequenzen zwischen 16-20000 Hertz wahrzunehmen vermag, liegt die Frequenz der von Fledermäusen produzierten Töne zwischen 30.000 und 70.000 Schwingungen pro Sekunde. Die Flugsicherheit der Fledermäuse beruht auf einer Echopeilung. Sie senden in rascher Folge Ultraschalltöne aus, die von den Gegenständen zurückgeworfen werden und von den Tieren als Information aufgenommen und "verstanden" werden. Das Weltbild der Fledermaus ist ein Hörbild.

Hier ist die Stelle um auf ein grundlegendes Werk der Fledermausforschung zu verweisen. In seinem Opus magnum "Aus dem Leben der Fledermäuse und Flughunde" berichtet der Forscher Martin Eisentraut von dem entscheidenden, die Existenz von Ultrschallwellen beweisenden Experiment: "Zum Abschluß all dieser glänzenden Versuche gelang schließlich auch der bisher noch fehlende Nachweis, daß Fledermäuse die hochfrequenten Töne wirklich hören können und imstande sind, die Richtung des aufgenommenen Schalls festzustellen. Ein Abendsegler wurde auf einem künstlich hervorgebrachten Ultraton von 40 Kilohertz in der Weise dressiert, daß dem Tier jedesmal bei einem Tonsignal ein Mehlwurm gereicht wurde. Sehr bald hatte die Fledermaus beides in Verbindung gebracht und reagierte nun bei Auslösung des Tones mit einem Heben des Kopfes und später sogar mit einem Anfliegen der Schallquelle".

Der Beweis war damit erbracht.

In diesem Zusammenhang ist auf das Ohr der Fledermaus zu verweisen, das selbst dem ungeübten Beobachter als auffallend groß erscheint.

Fleischfressende Glattnase

Fleischfressende Glattnase

Diese überdimensionierten Ohren dienen den Fledermäusen dazu, die Echos der von ihnen ausgestossenen Orientierungssignale aufzufangen. Ob die Signale durch das Maul oder die Nase aussgestossen werden, hängt davon ab, um welche von zwei großen Gruppen von Fledermäusen es sich handelt, um Hufeisennasen oder Glattnasen. Die Hufeisennasen, wie z.B. das auch hierzulande vorkommende Grosse Mausohr (Myotis myotis) tragen einen bemerkenswerten Nasenaufsatz, der den Glattnasen fehlt. Der Nasenaufsatz erlaubt ihnen, die Töne zielgerichtet zu senden und Gegenstände -seien es Hindernisse, seien es Beute - auf größere Entfernung anzupeilen.

Dinge, die 8 m von ihr entfernt sind, kann die Hufeisennase noch orten. Dabei fliegen die Hufeisennasen mit geschlossenem Maul und stossen durch die Nase hohe, lange Pfeiftöne aus. Anders die Glattnasen: ihr Ton ist explosionsartig kurz und reicht nur für kurze Entfernungen von etwa 1 m; sie erzeugen den Ton mit dem Maul. Die von den Ohrmuscheln eingefangenen Echos werden über die Gehörknöchelchenkette zum Innenohr mit der Schnecke und von dort zum Hörnerven übertragen. Das ist noch nichts besonderes. Doch weisen die Fledermäuse schon im Innenohr einen trennscharfen Hörfilter auf, der ihnen erlaubt, in ihrem Ortungssystem mit einer akustischen Trennschärfe zu arbeiten, die bis zu fünfzigmal höher ist als bei anderen Säugetieren. Dies ist auch notwendig, da Fledermäuse, wenn sie beispielsweise im Blatttwerk eines Baumes nach Insekten jagen, vielfältige Signale sowohl von den Beutetieren wie auch von den Zweigen und Blättern empfangen, die auseinandergehalten werden müssen.

Natürlich hat sich der Mensch nicht damit zufrieden gegeben, gegenüber den Ultrschalltönen taub zu bleiben. Über den Bat-Detektor werden die Ultrschalltöne hörbar gemacht. Abgesehen davon, daß die Forschung nie aufhören kann, den verborgenen Dingen in der Natur nachzustöbern, läßt sich an hochspezialisierten Werkzeugen von Lebewesen einer großen Gattung, wie zum Beispiel der Säugetiere, auch Grundsätzliches über das Funktionieren von Organen überhaupt herausfinden. Also wissen wir durch die Erforschung des Fledermausohres mehr über die Vorgänge in unserem eigenen Gehör.

Die hohe Spezialisierung des Fledermausohres ist um so erstaunlicher, daß als wir bei den Fledermäusen mit einer uralten Spezies von Säugetieren zu tun haben. So fand man versteinerte Fledermäuse in der unter Forschern der Erdvergangenheit berühmten Grube Messel in der Rheinischen Tiefebene nordöstlich von Darmstadt. Die Wissenschaft fand heraus, daß die Funde aus der Messeler Grube aus dem Erdzeitalter des Eozän stammen, in dem die höheren Säugetiere sich zu entwickeln begannen. Auch Überreste von Krokodilen wurden dort entdeckt, ebenso wie das berühmte Messeler Urpferdchen, eine Vorform von sich gerade entwickelnden Säugetierarten. Ganz anders die Fledermaus. Erstaunt nahm die Wissenschaft zur Kenntnis, daß dem Körperbau zufolge diese hochspezialisierte Säugetierart ihre Entwicklung bereits im Eozän abgeschlossen hatte.

In dem berühmten Weltengespräch zwischen Felix Krull und dem Professor Kuckuck aus Lissabon läßt Thomas Mann den Gelehrten auf die Frage, wann man das Eozän schrieb antworten: " Kürzlich. Es ist Erdenneuzeit, etwelche 100.000 Jahre zurück, als zuerst die Huftiere aufkamen."

Was die Zahl angeht, untertrieb der Dichter. Tatsächlich fand das Eozän vor etwa 60 Mio. Jahren statt, jedenfalls zu einer Zeit, die den Menschen noch nicht kannte. Wir sollten der Fledermaus also mit Hochachtung und gebührendem Respekt begegnen.

Statt dessen verspürt ein Teil des Publikums bei näherer Bekanntschaft mit Fledermäusen immer noch ein schlecht unterdrücktes Unbehagen. Eher harmlos mutet in diesem Zusammenhang die Furcht vorwiegend weiblicher Individuen an, daß eine Fledermaus sich in ihre Frisur verirren könnte. Dies ist Aberglaube: Fledermäuse bevorzugen für ihren Aufenthalt Dachböden, Felsspalten, Baumhöhlen und Stollen. Bedenklicher ist, daß etwas von verlorenen Seelen oder Seelen auf Urlaub in den Köpfen spukt. Mit ihrem nächtlichen Wispern steht die Fledermaus seit Ovid für das Unheimliche bis auf den heutigen Tag. Der römische Dichter beschreibt es als Strafe, daß die Töchter des Königs Minyas wegen ihrer Mißachtung des Gottes Bacchus in Fledermäuse verwandelt wurden. Ihr Haus füllte sich mit blendender Glut und "Längst verbargen sich schon im Hause die Schwestern,/ Jede gesondert, und suchten die Glut und die Helle zu meiden; / Wie sie so Dunkelheit suchen, umzieht ihre schrumpfenden Glieder / Dünne Haut und bekleidet mit zarten Schwingen die Arme. / Aber auch welche Art sie die früheren Formen verloren, / Ließ das Dunkel nicht sehen. / Zwar nicht ein Gefieder erhob sie; / Dennoch schwebten sie hoch mit helldurchsichtigen Flügeln / wollten sie reden, erklang im Verhältnis zum Leibe nur ein schwaches / Zirpen und sie beklagen ihr Leid mit leisem Gewisper./ Häuser bewohnen sie nur, nicht Wälder, und fliegen nur nachts,/ Lichtscheu und Fledermäuse genannt nach dem Flattern am Abend." So waren, hier in der ausgezeichneten Übersetzung von Thassilo von Scheffer, die Fledermaus aus dem Mythos geboren. Es waren menschliche Wesen, die in nächtliche Flatterer verwandelt wurden. Das war entwicklungsgeschichtlich zwar unhaltbar, doch lebte die Figur des Fledermausmenschen in Mythen und Volksmärchen fort. Ihre entschiedenste Ausprägung fand sie in der bluttriefenden Gestalt des Vampirs.

In den tropischen Nächten Mittel- und Südamerikas geht nach Einbruch völliger Dunkelheit eine Fledermausart auf Beutefang, deren Gebiß eigentümlich verändert ist. Die Zahl der Zähne ist auf zwanzig vermindert, die Vorderzähne haben messerscharfe Schneiden. Es handelt sich hier um Vertreter der Familie der Echten Vampire, von denen der bekannteste der Gemeine Vampir (Desmodus rotundus) ist. "Gemein" beschreibt hier keine Charaktereigenschaft, sondern spielt auf die Tatsache an, daß Desmodus rotundus erheblich weiter verbreitet ist als z.B. sein Artgenosse, der kleine Blutsauger (Diphylla ecaudata). Wie bei allen Fledermausarten handelt es sich auch hier um hochspezialisierte Individuen, die nicht nur über messerscharfe Schneidezähne, sondern auch über kleine Hautpolster an Fußsohlen und Handgelenken verfügen, die es ihnen erlauben, sich geräuschlos und ohne daß das Opfer aus dem Schlaf erwacht, auf ihren Blutspender, ausschließlich Warmblütern, niederzulassen. Das Opfer, meist Rinder, Pferde, Ziegen, Hunde, Schweine, selbst Hausgeflügel und gelegentlich ein schlafender Mensch spürt den schnellen Biß nicht. Das reichlich austretende Blut wird mit der Zunge aufgeleckt, nicht wirklich ausgesaugt. Obwohl die aufgenommene Blutmenge so beträchtlich ist, daß der Leib des Vampirs bei einer Mahlzeit zusehends anschwillt, hält der Blutverlust sich doch meist in Grenzen. Gefährlicher ist die Übertragung von Krankheiten durch den Biß eines Vampirs, wie z.B. einer speziell in Mittel- und Südamerika auftretenden Pferdeseuche und vor allem der Tollwut.

Nach Bekanntwerden dieser beunruhigenden Einzelheiten aus der Neuen Welt breiteten sich in Europa fantastische Vorstellungen und allerhand Aberglaube aus. Fledermäuse wurden mit Hexen und Teufeln in einen Topf geworfen, bezeichnenderweise wurden in der Malerei der Spätrenaissance und des Barock, aber auch des ausklingenden Rokoko (Francisco Goya) und der Moderne (z.B. in den Federzeichnungen von Alfred Kubin) der Teufel, der einen Heiligen oder eine Jungfrau belästigt, mit Fledermausflügeln, Engel dagegen grundsätzlich mit Vogelschwingen ausgestattet. Der Mythos von Blutsaugern war in der Alten Welt jedoch bereits vor der Entdeckung Amerikas präsent.

So beschreibt der Vampir-Ethnologe Gabriele Rossi Osmida als Ahnin der Vampire Lilith, Adams erstes Weib, das im jüdischen Volksglauben als blutsaugendes Nachtgespenst vorkommt, sich am roten Meer mit den Dämonen vereinigt und mit ihnen täglich mehr als 100 Blutsauger gezeugt haben soll. Aus der griechischen Mythologie überliefert ist die Schrecken verbreitende Gestalt der Empusa, die sich tagsüber in ein schönes Mädchen verwandelt und nachts den Durst mit dem Blut der Liebhaber stillt. Im Deutschland Martin Luthers wurden Vampire zunächst als Nachzehrer, Blutsauger und Leichenfresser bezeichnet, neben allerhand anderen vampirischen Attributen schrieb man ihnen auch die Ausbreitung von Epidemien zu. Der eigentliche Begriff Vampir stammt dagegen aus dem Serbischen und wird im Deutschen, so das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, erstmals 1732 erwähnt. Vorher schon war im "Mercure galant" über wiederkehrende Blutsauger in Russland und Polen berichtet und dazu bemerkt worden, daß man diese dort Vampire nenne. Im Handbuch des deutschen Aberglaubens wird der Vampir demnach den Nachzehrern zugeordnet und als eine besondere Rasse der Wiedergänger definiert, der auf irgendeine Art seine Angehörigen oder auch andere Menschen nach sich in den Tod ziehe. Präziser: als Vampir wird nur jene Klasse von Wiedergängern bezeichnet, "von denen ausdrücklich gesagt wird, daß sie den Lebenden Blut aussaugen". An anderer Stelle heißt es, der Vampir falle nachts die Leute an, insbesondere Verwandte, denen er sich auf die Brust lege - vom ausgesogenen Blut werde der Vampir "aufgeblasen wie ein gefüllter Schlauch" - eine, wie wir aus der Beobachtung südamerikanischer Fledermaus-Vampire wissen, durchaus der Realität entsprechende Beobachtung.

Wie wird man Vampir ? Der Spezialist Klaus Völker nennt in seiner 1968 in der "Bibliothec Dracula" erschienenen Beschreibung folgenden Personenkreis: "Christen, die sich zum Islam bekehren liessen, Priester mit Todsünden, Exkommunizierte und Menschen, die keine Sterbesakramente empfangen haben". Weitere Kandidaten sind ungetauft gestorbene Kinder, Tote, in die am 40. Tag ein böser Geist fährt, und Leichen, über die eine Katze oder sonst ein Tier gegangen ist. In England verwandeln sich hauptsächlich Ausländer in Vampire, und zwar Franzosen, die auf englischem Boden gefallen sind. In Osteuropa mutieren vorzugsweise solche Personen zu Vampiren, die mit Türken in Kontakt standen. Die Idee des Vampirismus ist also völkerübergreifend. Allerdings variieren die Merkmale des Vampirs. Nach slawischer Tradition hat er rote, nach griechischer blaue Augen. Die Zähne werden aber in sämtlichen Überlieferungen als übergroß beschrieben. Typisch vampirisch sei es, so das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, "wenn sich bei einem Toten Blutflecken auf dem Gesicht, besonders an den Fingernägeln zeige, wenn die Leiche langsam erkaltet, oder wenn ein Mensch mit Zähnen oder einer Glückshaube auf die Welt gekommen sei". Dagegen entspringt die Vorstellung, daß der Vampir geheiligte Erde mit sich führt, um sich tagsüber darin schlafen zu legen, ebenso eher der literarischen Fantasie als dem Volksglauben wie die Ansicht, ein Vampir sei im Spiegel nicht zu sehen.

Als Abwehrmittel gegen den Vampir wird empfohlen, die Leiche auszugraben und ihr mit einem Spaten den Kopf abzustechen, anschließend ist der Kopf zwischen die Beine zu legen und Erde zwischen Kopf und Rumpf zu streuen. Ist eine Pfählung der Leiche nötig, geschieht dies mit einem Pfahl aus Dorn, Espen- oder Eschenholz. Bleibt auch dieses, ebenso wie das Annageln im Sarg wirkungslos, muß die Leiche verbrannt werden. Notabene sind dies keine Maßnahmen zur Bestrafung des Blutsaugers, sondern, so Rossi Osmida, notwendige Aktionen, um den Vampir vom rastlosen Zustand des Untoten zu befreien.

 

 

Gemeiner Vampir

Gemeiner Vampir

Der spektakulärste Fall im 18. Jahrhundert war der des Haiducken Arnold Paole, eines Mitglieds der ungarischen Infanterie also, der zu Lebzeiten selbst das Opfer eines Vampis gewesen sein soll. Nach seinem Tod soll er "in dem Dorf Medvegia einige Personen durch Aussagen des Bluts umgebracht haben". Und weiter heißt es dazu in der "Bibliothec Dracula": "Um nun dieses Übel einzustellen, haben sie diesem Arnold Paole in beyläuffig vierzig Tage nach seinem Tod ausgegraben, und gefunden, daß er gantz vollkommen und unverwesen sey, auch ihm das frische Blut, zu denen Augen, Nasen, Mund und Ohren herausgeflossen, das Hemd, Übertuch und Truhe gantz blutig gewesen, die alten Nägel an Händen und Füssen samt der Haut abgefallen, und dargegen neue andere gewachsen sind, meinen sie nun daraus ersehen, dass er ein würcklicher Vampyr sei, so haben sie demselben nach ihrer Gewohnheit einen Pfahl durchs Hertz geschlagen, wobey er einen wohlvernehmlichen Gächzer gethan, und ein häuffiges Geblüt von sich gelassen; Wobey sie den Cörper gleich selbigen Tag gleich zu Asche verbrennet und solche ins Grab geworffen", so der Vampyr-Experte Montague Summers, zitierte nach Georges Waser, NZZ (Neue Züricher Zeitung).

In einigen Berichten aus jenen Zeiten ist ein Unterton von Hysterie nicht zu verkennen, und wie zu allen Zeiten bis auf den heutigen Tag die Menschheit gelegentlich ein Bedürfnis nach apokalyptischen Szenarien hat (vergleiche in diesem Zusammenhang die rezidivierenden Weltuntergangs-Prophezeihungen US-amerikanischer Sekten, die Verlautbarungen des Club of Rome, das jeweils Neueste vom Ozonloch, die Schlußsequenz in R. Polanskis "The Fearless Vampyre Killers" etc.), so fürchtete man damals die Entvölkerung ganzer Landstriche durch den grassierenden Vampirismus. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch der spektakuläre Auftritt eines Erzvampirs in Slovenien, der am Abend nach seinem Begräbnis den Pfarrer aufsuchte, um ihm für die schöne Zeremonie zu danken; Berichten zufolge sprang der Pfahl, mit dem der Wiedergänger schließlich durchbohrt werden sollte, wiederholt wie von einem Trommelfell zurück.

Solches also zu einer Zeit, als über Europa der Glanz der sogenannten Aufklärung leuchtete. Überheblichkeit ist gleichwohl nicht angebracht. Laut Gabriele Rossi Osmida wurden in Polen in jüngster Zeit noch Vampire zur Strecke gebracht. Noch 1967 fanden dort nach einem Bericht der NZZ auf dem Londoner Friedhof von Highgate noch Vampirjagden statt, als dort Schulmädchen gesehen hatten, "wie sich die Gräber auftaten und die Toten aufstanden". Ein weiteres Zitat aus der NZZ: Im englichen Stoke-on-Trend erstickte 1973 ein Pole an Knoblauchzehen, die er sich zum Schutz gegen Vampire in den Mund gesteckt hatte. Hirngespinste ? Produkte einer überhitzten Phantasie? Statt einer Antwort sei auf eine Veröffentlichung von H.D. Mummendey und Mitarbeiterinnen verwiesen: De Vampyris - auf dem Wege zu einer sozialen Psycho-Physiologie des akuten Vampyrismus, 1982, (Litzelstätter Libellen, Abteilung Handbüchlein und Enchiridia). In dieser über Fachkreise hinaus beachteten Untersuchung erfolgte bei 35 Altvampiren eine multifunktionale Erstellung bidimensionaler Elektrodentogramme beim akuten Akt. Die überraschenden Ergebnisse werden in der Publikation unter emotions- und handlungstheoretischen Gesichtspunkten diskutiert.

 

Verfasser: Dr. G. Stuckmann und Prof. Dr. H. Strunk